Yosief, 13 Jahre alt, eine visuelle Wiedergeburt
schrieb am 30.09.2025Das Schicksal von Yosief, einem fröhlichen Jungen, wird im Alter von zwei Jahren auf den Kopf gestellt. Seine Augen zeigen erste Anzeichen von Beschwerden. Seine Sehkraft verschlechtert sich nach und nach, sodass er kein normales Leben mehr führen kann. Die Situation verschlechtert sich im Laufe der Zeit, ohne dass seine Familie eine geeignete Lösung finden kann. Mit elf Jahren wird sein Zustand kritisch. Dann beginnt eine lange Reise voller Hoffnung. Zunächst mit Konsultationen in Äthiopien, dem Nachbarland seines Heimatlandes Eritrea, schliesslich mit einer Überweisung in die Schweiz dank der Stiftung „Une chance, un cœur“ (Eine Chance, ein Herz).
Von Sanja Blazevic

„Jetzt ist alles anders. Die Operation hat mein Leben verändert!“
Yosief, 13 Jahre
Ein Kampf gegen den Keratokonus
Yosief wächst in Asmara, der Hauptstadt Eritreas, zusammen mit seinen Schwestern, seinem grossen Bruder und seiner Mutter auf. Der fröhliche und lebenslustige Junge ist erst zwei Jahre alt, als seine Augen zu jucken beginnen. Diese ersten Symptome scheinen harmlos, werden jedoch sein Leben grundlegend verändern. Im Laufe der Jahre verschlechtert sich sein Sehvermögen zunehmend. Eine Brille bringt keine Besserung. Die Konturen verschwimmen nach und nach, entfernte Formen werden unscharf und verschwinden schliesslich ganz. Mit elf Jahren befindet sich Yosief in einer alarmierenden Situation.
Im Januar 2024 bringt ihn seine Familie in ein Augenzentrum in Äthiopien. Endlich steht die Diagnose fest. Sein verschwommenes Sehen und seine schlechte Fernsicht verbergen in Wirklichkeit einen Keratokonus, eine Krankheit, die durch eine fortschreitende Verformung der Hornhaut gekennzeichnet ist. Bei der Untersuchung stellen die Ärzte fest, dass Yosiefs Sehvermögen stark beeinträchtigt ist. Mit seinem rechten Auge sieht er fünfmal schlechter als normal, mit seinem linken Auge zehnmal schlechter.
Zu dieser Zeit wird der Junge dank der Vermittlung eines Verwandten von der Stiftung „Une chance, un cœur“ entdeckt. Gegründet und geleitet von Professor Jean-Jacques Goy, einem renommierten Kardiologen, bietet diese Schweizer Stiftung Kindern mit unterschiedlichen, schweren Krankheiten eine chirurgische Behandlung an. „Yosief hierher zu holen, war eine grosse Herausforderung. Aufgrund der politischen Lage in Eritrea lehnte die Botschaft zunächst den Visumantrag ab. Ich musste einen Anwalt einschalten, um vor Gericht die medizinische Dringlichkeit von Yosiefs Fall zu vertreten. Dieser Schritt führte schliesslich dazu, dass die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde“, erklärt Prof. Goy.

Die Ansicht unseres Partners „Une chance, un cœur“
Interview mit Prof. Jean-Jacques Goy, Facharzt für Kardiologie, Präsident der Stiftung „Une chance, un cœur“
Ihre Stiftung bietet jungen Patientinnen und Patienten mit Herzerkrankungen, aber auch anderen schweren Krankheiten chirurgische Behandlungen an. Was bedeutet für Sie La Maison de Terre des hommes Valais bei der Begleitung der anvertrauten kranken Kinder?
Seit wir eine Partnerschaft mit La Maison abgeschlossen haben, ist dies ein Wendepunkt für unsere Arbeit. Die Zusammenarbeit verläuft reibungslos. Wir übergeben die Kinder mit vollem Vertrauen, da wir wissen, dass sie mit viel Wohlwollen und Sorgfalt betreut werden. Das Personal ist wunderbar zu ihnen, immer ein offenes Ohr und sehr aufmerksam.
Unsere Stiftung arbeitet ohne bezahlte Mitarbeiter, was unsere Tätigkeit erschwert. Die Stiftung funktioniert nur dank des Engagements engagierter Freiwilliger. Gleichzeitig müssen wir Mittel beschaffen, um die Kinder in die Schweiz zu bringen und die medizinischen Kosten zu bezahlen. Wenn wir uns zusätzlich um die Aufnahme der Kinder kümmern müssten, wäre unsere Aufgabe nicht mehr zu bewältigen. Ohne die Partnerschaft mit La Maison wäre unsere Stiftung gezwungen, diese für medizinisch bedürftige Kinder lebenswichtigen Überführungen einzustellen.
Was sind Ihre Träume für die Zukunft der Kinder, die dank dieser Partnerschaft betreut werden?
Mein grösster Wunsch ist es, dass die Kinder nicht mehr zur Behandlung in die Schweiz kommen müssen. Mit anderen Worten: dass sie direkt in ihrem Heimatland operiert werden können.
Warum ist es so wichtig, dass Spenderinnen und Spender diese Solidaritätskette unterstützen?
Geld ist der Nerv des Krieges, wie das Sprichwort so schön sagt. Wir brauchen finanzielle Mittel, um diese kranken Kinder zu versorgen und ihnen so eine Chance im Leben zu geben. Solange Kinder in die Schweiz kommen müssen, sind wir auf die grosszügige Unterstützung zahlreicher Spender und Partner angewiesen. Wir hoffen natürlich, dass unsere Hilfe eines Tages nicht mehr notwendig sein wird, um Leben zu retten.
„Ich musste einen Anwalt einschalten, um vor Gericht die medizinische Dringlichkeit von Yosiefs Fall zu vertreten.“
Prof. Jean-Jacques Goy, Präsident der Stiftung „Une chance, un cœur“
Die Operation, die alles verändert
Trotz der Dringlichkeit ziehen sich die Verwaltungsformalitäten für die Einreise von Yosief in die Schweiz in die Länge. Angesichts dieser Situation beschliesst das äthiopische Ärzteteam zu handeln. Es führt eine Hornhauttransplantation am stärker betroffenen linken Auge durch, verfügt jedoch über kein Transplantat mehr für das rechte Auge.
Nach Monaten der Ungewissheit bezüglich seines Visums betritt Yosief im April 2025 die Schwelle von La Maison. Er wird ehrenamtlich von Prof. François Majo, dem medizinischen Direktor des Centre Ophtalmologique de la Gare in Lausanne. Der Eingriff am rechten Auge ist für Anfang Mai in der Clinique Bois-Cerf geplant, die für ihr hochmodernes Augenzentrum bekannt ist. „Neben anderen Partnern arbeitet die Stiftung Une chance, un cœur mit dieser Klinik, auf der Grundlage eines Vorzugstarifs für Operationen, zusammen” erklärt Prof. Goy.
Einige Wochen nach der Transplantation hat Yosief wieder eine gute Sehkraft auf dem rechten Auge. Entfernte Formen nehmen endlich klarere Konturen an und er entdeckt die Welt in einem neuen Licht. Prof. Majo betont die Notwendigkeit einer längeren spezialisierten postoperativen Begleitung, da die Nachsorge für einen klassisch ausgebildeten Augenarzt schwierig sein kann. In Bezug auf das linke Auge fügt er hinzu: „Zu den Komplikationen, die bei der Erstbehandlung festgestellt wurden, gehörte eine Dezentrierung der in Äthiopien transplantierten Hornhaut. Dies erhöht das Risiko einer Abstossung erheblich. Daher mussten wir Ende des Sommers eine weitere Operation durchführen.“


Der „Schmetterlingseffekt“ der medizinischen Solidarität
Interview mit Prof. François Majo, Doktor der Medizin und Naturwissenschaften, Facharzt für Augenheilkunde und Augenchirurgie, medizinischer Direktor des Centre Ophtalmologique de la Gare in Lausanne, Privatdozent an der Universität Lausanne
Wie hat sich Yosief den Keratokonus zugezogen?
Das Reiben der Augen ist der Hauptfaktor, der zur Entstehung des Keratokonus führt. In seiner frühen Kindheit rieb Yosief die Augen nicht aus Spass, sondern weil er ein anhaltendes Unbehagen verspürte. Dieses lässt sich durch das Vorhandensein entzündlicher Tränen erklären, die die Augenoberfläche reizen. Wiederholtes Reiben verformt die Hornhaut und verursacht eine Hornhautverkrümmung (Astigmatismus). Diese kann zunächst mit einer Brille korrigiert werden, später nur noch mit speziellen Kontaktlinsen. Entwickelt sich die Verformung weiter, kann letztlich nur eine Hornhauttransplantation den Sehzustand verbessern.
Wie hätte die Zukunft von Yosief ohne seine Überführung in die Schweiz zur Operation ausgesehen?
Mit seiner sehr schlechten Sehkraft wäre Yosief in der Wahl seiner Ausbildung und seines Berufs sowie in seiner Selbstständigkeit eingeschränkt gewesen. Bei seiner Ankunft in der Schweiz war seine Fernsicht bereits stark eingeschränkt: 4 % für das rechte Auge und 32 % für das linke. Mit der Zeit hätte sich auch sein Sehvermögen auf dem linken Auge verschlechtern können, da die in Äthiopien durchgeführte Transplantation ein hohes Risiko einer Abstossung barg. Er hätte also sehbehindert werden können.
Wie sieht der Genesungsprozess nach der Operation aus?
Eine Behandlung gegen Abstossungsreaktionen muss 18 bis 24 Monate lang lokal verabreicht werden. Während dieser Zeit bestehen verschiedene Risiken: Abstossung des Transplantats, die jedoch im ersten Jahr selten auftritt, Anstieg des Augeninnendrucks im operierten Auge und Ödem der Makula oder des zentralen Teils der Netzhaut. Um diese möglichen Komplikationen zu überwachen, ist mindestens ein Jahr lang eine monatliche Nachuntersuchung erforderlich.
Inwiefern spielt Ihrer Meinung nach La Maison de Terre des hommes Valais eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung des Kindes nach der Operation?
Der chirurgische Eingriff trägt zu 50 % oder sogar weniger zum Erfolg der Behandlung bei. Danach ist die Begleitung durch ein auf Hornhauttransplantationen spezialisiertes Team von entscheidender Bedeutung. Ihre Einrichtung spielt eine entscheidende Rolle, indem sie die Kinder für mindestens sechs Monate in Massongex aufnimmt, um diese erste Nachsorge zu ermöglichen.
Mit anderen Worten: Eine Hornhauttransplantation durchzuführen und die Patientin oder den Patienten dann ohne fachärztliche Nachsorge mit einem 18-monatigen postoperativen Therapieprotokoll zu entlassen, würde in vielen Fällen zum Verlust des Transplantats und zur Zunichtemachung der Bemühungen aller Beteiligten führen.
Sie kümmern sich ehrenamtlich um die Kinder von La Maison, die an einer Augenerkrankung leiden. Was motiviert Sie, Ihre Zeit und Ihre Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen?
Meine Motivation beruht nicht auf einer direkten Gegenleistung der Kinder. Ich glaube an den „Schmetterlingseffekt”. Was ich für Yosief getan habe, wird er vielleicht für jemand anderen tun und so weiter. Ich hoffe auch, dass dieser Ansatz andere Menschen inspirieren kann.
Da ich viel klinisch und chirurgisch tätig bin, passt es letztlich gut in meine Gesamtpraxis, zwei oder drei Patienten pro Jahr kostenlos zu behandeln. Eine Anmerkung jedoch: Auch in der Schweiz gibt es Armut und das darf nicht vergessen werden.
„Ich glaube an den ‘Schmetterlingseffekt’. Was ich für Yosief getan habe, wird er vielleicht für jemand anderen tun und so weiter.“
Prof. François Majo, medizinischer Direktor des Centre Ophtalmologique de la Gare in Lausanne
Das Augenlicht, ein wiedergefundener Schatz
„In La Maison nehmen wir selten Kinder mit Augenerkrankungen auf. In den letzten fünf Jahren hatten wir insgesamt sieben Fälle, einschliesslich Yosief“, erklärt Sarah Blin, eine der Krankenschwestern von La Maison. „Die postoperative Nachsorge erfordert die gleiche Sorgfalt wie bei allen anderen Erkrankungen. Yosief wird täglich in der Krankenstation behandelt. Er erhält Antibiotika in Tropfenform, Lösungen zur Reinigung der Augen sowie künstliche Tränen, um eine gute Feuchtigkeitsversorgung aufrechtzuerhalten.“
Seit seiner Ankunft hat sich der Junge sehr gut in das Leben der Einrichtung integriert. Er nimmt an gemeinsamen Aktivitäten teil, besucht die Schule von La Maison und findet Freunde. Am 28. Juni feiert er seinen dreizehnten Geburtstag zusammen mit seinen Freunden, umgeben von der Fürsorge des pädagogischen Personals.
„Früher war alles verschwommen, es schwierig zu schreiben. Ich musste mich vorbeugen und mein Gesicht ganz nah an das Blatt Papier halten, um etwas erkennen zu können. Vor einigen Monaten musste ich die Schule abbrechen, um mich behandeln zu lassen. Jetzt ist alles anders. Die Operation hat mein Leben verändert!“
Mit strahlendem Gesicht und einem sanften Blick vertraut sich Yosief in seiner Muttersprache Azeb, einer Mitarbeiterin von La Maison, an. Er erzählt von der Freude über sein wiedergewonnenes Augenlicht und seiner Faszination für die Welt, die ihn umgibt. „Hier bei La Maison kann ich endlich wieder zur Schule gehen. Aber am meisten gefallen mir die Ausflüge, die wir machen. Ich entdecke Landschaften, die ebenso wunderschön wie einzigartig sind.“
Für Yosief ist das Sehvermögen ein unermesslicher Schatz, den er mit dreizehn Jahren zurückgewonnen hat.
Yosiefs Geschichte veranschaulicht die Kraft der internationalen Solidarität und die Bedeutung des Zugangs zu spezialisierter medizinischer Versorgung, um ein Schicksal radikal zu verändern. Jede Geste, jede Unterstützung trägt dazu bei, den Kindern, die in La Maison aufgenommen werden, eine Zukunft zu bieten.